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Die Feldenkraismethode und Verantwortung

Einerseits geht es bei der Feldenkraismethode wohl recht offensichtlich um Bewegung. Andererseits sagte Dr. Feldenkrais, es gehe ihm weniger um bewegliche Körper als um bewegende Gehirne. Und er sagte auch, es gehe eigentlich darum das Lernen zu lernen. Worum geht es also bei dieser sehr speziellen Methode tatsächlich?
Ist es überhaupt eine "Methode"?

Nähern wir uns diesen Fragen quasi von aussen betrachtend was in so einer Feldenkraisstunde vor sich geht. Blicken wir in solch einen Gruppenraum, sehen wir einen Menschen, der in der Regel sitzend oder auch stehend oder gehend, einer Gruppe von anderen, meist am Boden liegenden, Menschen mit Worten Anweisungen für Bewegungen gibt. Dieser anleitende Mensch beschreibt Bewegungsabläufe zwar sehr detailliert aber macht sie nicht vor.
Diese Tatsache ist für viele der teilnehmenden Menschen zunächst irritierend, denn sie sind es aus anderen Situationen gewohnt, Dinge, oder eben auch Bewegungen, gezeigt zu bekommen und können diese dann nachmachen. Auf diese Weise ist es relativ einfach ein "richtig" anhand des Abgleichs des sichtbaren Vorbilds mit der eigenen Umsetzung
zu definieren.
Sind aber die TeilnehmerInnen bei dieser Suche nach einem "richtig" allein auf die verbalen Anweisungen angewiesen, sieht die Sache ganz anders aus. Sie müssen sich zunächst eine Vorstellung davon machen, wovon da die Rede ist. Nur auf Basis dieser Vorstellung werden sie die erste Bewegung ausführen und ihre Wahrnehmung dessen, was sie da tun, wiederum abgleichen mit der entworfenen Vorstellung. Dieser Vorgang wiederholt sich wieder und wieder, da auch die verbalen Anleitungen sich an den sichtbaren Auslegungen orientieren, diese aufgreifen und die Aufmerksamkeit zu möglichen Alternativen führen. Es findet  also eine fortwährende Interaktion zwischen Lehrer und Teilnehmern statt.

Da nicht etwa vor einem Spiegel agiert wird sondern häufig sogar mit geschlossenen Augen, braucht es andere Sinnessysteme als das Sehen. Da Hören, Riechen und Schmecken wenig geeignet hierfür sind, bleibt unsere körperliche Selbstwahrnehmung als Instrument. Also Wahrnehmungen von Druck (Bodenkontakt), Muskelarbeit, Veränderungen in den Gelenken und das Gewicht von bewegten Körperteilen und somit die Einwirkung von Schwerkraft. Diese kinästethischen Wahrnehmungen können nun wieder in ein Bild umgewandelt werden und so abgeglichen werden mit der anfangs entworfenen Vorstellung.

Bei diesem Vorgang ist allerdings, was Qualität angeht,  vieles ungewiss. War z.B. die anfängliche Vorstellung der "Aufgabe" anstrengend, strapaziös oder gar schmerzhaft, wird es die vermeintlich richtig umgesetzte Bewegung auch sein. Hier kommt ein weiteres wesentliches Kriterium hinzu: die mit sich selbst experimentierenden Menschen sind ausdrücklich angehalten, nach einfachen, angenehmen und auf jeden Fall schmerzfreien  Umsetzungen zu suchen.
Ihr Gehirn ist also damit befasst, eine rational "verstandene" Anleitung in eine Vorstellung und diese Vorstellung in eine Bewegung zu verwandeln; dann diese Bewegung auf angenehme, effektive und auf die Vorstellung passende Qualität hin zu überprüfen. Um diese Qualität zu finden braucht es zahlreiche Versuche und natürlich auch Fehler um über den Vergleich die bestmögliche Variante zu finden.

Diesen Prozess steuert die unterrichtende Person mit immer weiter ins Detail gehenden Vorschlägen für den Bewegungsablauf. Sie beobachtet die Versuche der Studierenden und macht auf Basis des Gesehenen weitergehende Vorschläge. So startet der oben beschriebene Prozess immer wieder auf's Neue. Natürlich hat auch die anleitende Person eine Vorstellung von dem, was gemacht werden soll, aber das muss sich nicht unbedingt decken mit dem, was die einzelnen TeilnehmerInnen für sich letztlich als richtig herausfinden.

Entscheidend ist bei diesem Vorgehen, daß jede teilnehmende Person ihr eigenes "richtig" sucht und findet. Die Bewertung dieser "Richtigkeit" wird also von der Person selbst auf Basis der eigenen Wahrnehmung vorgenommen und findet nicht in irgendeiner Weise von aussen statt. Auf diese Weise findet motorisches Lernen natürlicherweise statt und wir können diese Vorgehensweise auch bei manchen kreativen Prozessen finden.

Die Entscheidung zu treffen: so mache ich das jetzt, weil es sich für mich stimmig, angenehm und gut anfühlt, bringt aber noch etwas ganz anderes ins Spiel. In dem Moment, wo Menschen solche Entscheidungen für sich selbst treffen und nicht Anordnungen oder Vorgaben von aussen befolgen, übernehmen sie auch die Verantwortung dafür.
Dies ist ein sehr wesentlicher Punkt, denn wir werden von klein auf darin "unterrichtet" uns den Regeln, Anleitungen, Lehren und auch Denk- und Glaubensrichtungen derer zu unterwerfen, die es vermeintlich besser wissen. Dies betrifft nicht nur elterliche Erziehung und schulische Ausbildung, sondern wir haben uns als zivilisierte Menschheit eine Vielzahl an Systemen erschaffen, die dem einzelnen Individuum die Entscheidung über das "Richtige" und damit auch die Verantwortung abnehmen. Funktionieren wir auf diese Weise regelkonform, handeln wir "richtig". Und wenn's schief geht ist das zugrunde gelegte Regelwerk dafür verantwortlich.

Durch die in Feldenkraissitzungen, anhand banaler motorischer Prozesse, herbeigeführten eigenen Entscheidungen wird also auch die Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln trainiert. Ein Mensch, der sich immer wieder darin übt seinen Wahrnehmungen, zunächst bei motorischen Prozessen, zu vertrauen und der eigenverantwortlich auf diese Wahrnehmung bauend für sich entscheidet, was für ihn richtig ist, der wird Verantwortung zunehmend auch in anderen Lebensbereichen und Situationen übernehmen.

So gesehen könnte man die Feldenkraismethode auch als Weg
bezeichnen, Selbstverantwortung zu übernehmen.

"Erst wenn Du weißt, was Du tust, kannst Du tun, was Du willst."
Moshé Feldenkrais

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